Die Aufgabe, die mir im vergangenen Jahr das größte Vergnügen bereitete, war eindeutig, die Durchführung der Korrekturarbeiten an DER LACHENDE MANN, einem Roman von Victor Hugo.
Der in Paris 1869 unter dem Titel L’homme qui rit erstmals erschienene Text, wurde noch im gleichen Jahr von Georg Büchmann ins Deutsche übertragen, erlebte danach noch einige Neuübersetzungen und 1928 sogar eine Verfilmung als DER MANN, DER LACHT (mit Conrad Veidt in der Hauptrolle), ist inzwischen jedoch völlig aus dem kulturellen Bewusstsein (zumindest hierzulande) verschwunden.
Victor Hugos Roman spielt gegen Ende des 17. Jahrhunderts in England und behandelt kritisch die sozialen Interaktionen zwischen Volk und Adel. Festgemacht ist der Plot am Schicksal zweier Kinder, eines entführten und verunstalteten Jungen und eines blinden Waisenmädchens, die von einem umherziehenden Quacksalber vor dem Erfrieren gerettet und aufgezogen werden. Der Junge, dessen Gesicht durch brutale chirurgische Eingriffe ein ewiges Grinsen trägt, wird später als Spross einer Adelsfamilie erkannt, was zu einer Reihe tragischer Verwicklungen führt …
Herausgegeben von Andreas Fliedner und mit einem sehr emotionalen Vorwort von Tobias O. Meißner versehen erscheint DER LACHENDE MANN jetzt im Berliner Golkonda Verlag in einer vierbändigen Neuausgabe, die wort- und zeichengetreu der deutschen Erstausgabe folgt. Diesen Text nun durfte ich Korrekturlesen – und entdeckte dabei eine derart fesselnde, spannende und mitreißende Geschichte, dass ich während der ersten Lektüre ständig durch ein Wechselbad der Gefühle ging: das reichte vom kalten Schauer über Gänsehaut und unwilligem Stirnrunzeln bis hin zu grimmigem Knurren und lautem Lachen, amüsiertem Schmunzeln und überraschtem nach-Luft-schnappen.
Grund für diese seit langem nicht mehr empfundene Anteilnahme beim Lesen war (neben der ungeheuer guten Geschichte, die Victor Hugo da erzählte) eindeutig die Sprachkraft Büchmanns. So ein Deutsch kann heute überhaupt keiner mehr!
Die Sätze stehen da wie in Stein gemeißelt, brechen mit nahezu biblischer Wucht über den Lesenden herein und verleiten dazu, ganze Passagen zitieren zu wollen. Dieser Effekt verdankt sich wohl vor allem dem Umstand, dass Georg Büchmann nicht nur Lehrer und Philologe war, sondern auch als Verfasser des unverzichtbaren Nachschlagewerkes GEFLÜGELTE WORTE – DER ZITATENSCHATZ DES DEUTSCHEN VOLKES (1864) in die Literaturgeschichte einging.
So und nun natürlich noch ein kleines Beispiel:
„Seine Hauptaufgabe war, das menschliche Geschlecht zu hassen. In diesem Haß war er unversöhnlich. Nachdem er sich überzeugt hatte, daß das menschliche Leben etwas Schreckliches ist, nachdem er die Uebereinanderschichtungen der Plagen, der Könige über dem Volk, des Kriegs über den Königen, der Pest über dem Kriege, der Hungersnoth über der Pest, der Dummheit über Allem beobachtet hatte, nachdem es für ihn ausgemacht war, daß in der bloßen Thatsache der Existenz ein gewisses Quantum Züchtigung liegt, nachdem er erkannt hatte, daß der Tod eine Erlösung ist, machte er den Kranken gesund, den man zu ihm führte.“ (S. 39/40)
Horst Illmer
Sachdienliche Hinweise:
Victor Hugo
DER LACHENDE MANN.
Übersetzt von Georg Büchmann
(L’homme qui rit / 1869)
Berlin, Golkonda Verlag, 2013, 207 S.
ISBN 978-3-944720-02-9 / 16,90 Euro