Die wiedergefundenen Notizbücher des Hank Williams

Bereits die Lebensgeschichte des amerikanischen Musikers und Songwriters Hank Williams (17. September 1923 – 31. Dezember1952) gäbe mehr als genug Stoff her für mehr als einen biografischen Abriss oder mehr als nur einen Roman – letztlich stünde immer Hanks ultimatives Credo über dem Text: „I’ll Never Get Out of This World Alive“.

Als Hank Williams in der Nacht von 31. Dezember 1952 zum 1. Januar 1953 starb, hinterließ er nicht nur eine Reihe der wichtigsten Country-Songs aller Zeiten (u. a. Hey, Good Lookin‘, Ramblin‘ Man und I’m So Lonesome I Could Cry – entstanden alle innerhalb einer nur sechs kurze Jahre währenden Karriere), sondern auch vier zerschlissene Notizbücher. Schon bald rankten sich Sagen und Legenden um diese Hefte, in denen Williams die Texte seiner Lieder niederzuschreiben pflegte.

Langer Rede kurzer Sinn: THE LOST NOTEBOOKS OF HANK WILLIAMS (Columbia Music/Sony Records, 2011) bringt erstmals eine Auswahl von 12 Songs aus diesem bislang unerschlossenen Textkonvolut.

Die Riege der Künstler, die sich daran machten, die Texte von Hank Williams mit Musik zu versehen und die Songs einzuspielen, könnte keine größeren Namen umfassen, keine kongenialeren Interpreten enthalten. Das reicht von Bob Dylan bis Norah Jones, von Lucinda Williams bis Jack White, von Merle Haggard bis Alan Jackson. Nicht zu vergessen: Levon Helm, Patty Loveless, Vince Gill & Rodney Crowell, Jakob Dylan, Sheryl Crow und Hanks Enkelin Holly Williams.

Über die Entstehungsgeschichte der CD, die abenteuerlichen Wege der „verlorenen“ und wiedergefundenen Notizbücher, die Biografien der Künstler und die riesige Zahl der Begleitmusiker informiert ein hervorragend gemachtes 28-Seiten-Booklett.

Bob Dylan, seit seiner Jugend ein Hank Williams-Fan und gleichzeitig einer der besten Kenner der Americana-Tradition, legt er sich ordentlich ins Zeug: Der Walzer, mit dem er The Love That Faded unterlegt, und der unangestrengt entspannte Gesang des Meisters, schreiben die Legende von Hank Williams auf faszinierende Weise weiter.

Norah Jones hat sich mit Gillian Welch und Dave Rawlings verstärkt, deren Harmoniegesang zur akustischen Gitarre aus How Many Times Have You Broken My Heart ein zeitloses Meisterstück machen.

Der WHITE STRIPES-Rocker Jack White nimmt sich bei You Know That I Know stark zurück und lässt den Song in klassischer Fünfer-Besetzung (Drums, Upright Bass, 3 Gitarren) ordentlich swingen.

Auch jeder der anderen Künstler zeigt, wie variantenreich man sich Hank Williams nähern kann – und welches Songwriter-Potenzial dessen allzu früher Tod zunichte gemacht hat. So durchzieht nicht nur die genretypische Traurigkeit diese wundervolle Produktion, sondern auch eine zu Herzen gehende, deutlich erkennbare Liebe der Interpreten zu ihrem großen Vorbild.

Von allen Tribute-CDs ist dies die bisher wohl gelungenste – nur noch zu übertreffen vom Original.

 Herrmann Ibendorf

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