Franz Josef Degenhardt (3.12.1931 – 14.11.2011)

 

Was wollen wir nun singen
hier in unsrer Einsamkeit,
wenn alle von uns gingen,
die uns durch ihr Lied erfreut?

 

Am 3. Dezember wäre er 80 Jahre alt geworden – doch seien wir ehrlich: Kaum einer hätte gewusst, wie damit umgehen. Was? Der Degenhardt lebt noch? Ach Gott, von dem habe ich ja ewig nichts mehr gehört. So, in etwa, die Alten. Die Jungen wären ehrlicher gewesen. Franz Josef Degenhardt? Nie gehört.

Diesem würdelosen Rätselraten entging der westfälische Liedermacher, Rechtsgelehrte und Buchautor, indem er am Montag, dem 14. November, in aller Stille „von uns ging“.

Zwischen 1963 und 1989 gehörte der promovierte linke Systemkritiker, der von der SPD Ausgeschlossene, der dem Kommunismus und der Gewerkschaftsarbeit zugeneigte Bänkelsänger zu den wenigen glaubwürdigen „moralischen Instanzen“ der Bundesrepublik. Seine Lieder begleiteten den Ausbruch der Jugend aus dem Mief der nach dem Krieg wiederaufgebauten Wirtschaftswunder-BRD. Die heute so genannten „68er“ lauschten damals verzückt den Texten von „Spiel nicht mit den Schmuddelkindern“, „Ein schönes Lied“, „Väterchen Franz“, „Horsti Schmandhoff“, „Befragung eines Kriegsdienstverweigerers“ oder „Wenn der Senator erzählt“. Doch bereits Mitte der 70er Jahre erkannte Degenhardt, dass die Verlockungen des guten Lebens für die Meisten stärker waren als der schwierige Kampf für Gerechtigkeit, Gleichheit, Freiheit. Sein „Wildledermantelmann“ ist der genialische Abgesang einer verlorenen Hoffnung auf eine „andere“ Gesellschaft.

Ob es ihn selbst wirklich überrascht hat? Wohl kaum. Bereits 1966 erschien sein apokalyptisches Lied „In den guten alten Zeiten“ – pure Verzweiflung über die Unbelehrbarkeit des Menschen ausdrückend und gleichzeitig doch auch die Hoffnung nährend auf eine Zukunft, in der die Menschheit den Grundübeln Geld und Krieg abgeschworen hat und die Liedermacher als höchste Autorität gelten: „Dort im Südrandkrater, hinten an der Zwischenkieferwand, wo im letzten Jahre noch das Pärchen Brennesseln stand, wo es immer, wenn der Mond sich überschlägt, so gellend lacht, drüben haust in einem Panzer aus der allerletzten Schlacht jener Kerl mit lauter Haaren auf dem Kopf und im Gesicht, zu dem, wenn es Neumond ist, unser ganzer Stamm hinkriecht. Jener schlägt ein Instrument aus hohlem Holz und Stacheldraht und erzählt dazu, was früher sich hier zugetragen hat, in den guten alten Zeiten“.

Unverdrossen veröffentlichte Degenhardt mehr als 30 Alben in den 45 Jahren zwischen 1963 und 2008, dazu kamen noch acht Romane, von „Zündschnüre“ (1973) über das utopische Buch „Die Abholzung“ (1985) bis hin zu „Für ewig und drei Tage“ (1998). Spätestens mit dem Fall der Mauer in Berlin jedoch drehte sich der Wind im Lande und die politisch unkorrekten, surrealistischen, metaphernreichen Texte Degenhardts gehörten spätestens jetzt endgültig zur Geschichte.

Wer kann, der hole seine alten Langspielplatten vom Dachboden und schaue nach, ob nicht noch irgendwo „Rumpelstilzchen“, „Komm an den Tisch unter Pflaumenbäumen“, die „Wallfahrt zum Big Zeppelin“ oder eine der anderen Degenhardt-Platten dazwischen stecken – und dann gönnen wir uns wieder einmal (vielleicht auch zum letzten Mal?) eine nostalgische Stunde voller unvergänglicher, engagierter, melodiöser und poetischer Lieder. Die Schmuddel-Kinder dürfen ruhig mithören.

Wir wollen dennoch singen,
hier unterm Sternenzelt.
Wer weiß, die Lieder dringen
vielleicht erneut in unsre Welt.

  

Herrmann Ibendorf

www.temporamores.de