H. G. Wells – Die Zeitmaschine

Auch wenn der junge englische Aushilfslehrer, Journalist und Gelegenheitsschriftsteller Herbert George Wells außer seinem 1895 erstmals erschienen Kurzroman THE TIME MACHINE / DIE ZEITMASCHINE weiter nichts mehr veröffentlicht hätte, wäre ihm sein Platz in der Literaturgeschichte sicher. Erfand Wells damit doch eines der archetypischen Themen der Science Fiction und legte so den Grundstein zu einem neuen, sehr erfolgreichen und produktiven Genre der Unterhaltungsliteratur.

Gleichzeitig mit der genialen Idee muss man Mr. Wells auch noch eine außergewöhnlich gut gelungene literarische Komposition zubilligen, eine stilistische Sicherheit und poetische Qualität, die von seinen Nachfolgern nur sehr wenige zu erreichen vermochten.

Eingebettet in eine wohldurchdachte Rahmenhandlung, in der ein englischer Wissenschaftler seinen Freunden eine Vorlesung über die „vierte Dimension“ – die Zeit – gibt und ihnen im Anschluss an seine Überlegungen deren Relevanz anhand einer selbstgebastelten Zeitmaschine „beweisen“ will, schickt Wells seine Leser per Gedankenspiel in verschiedene zukünftige Epochen des Universums. Am Bekanntesten wurde jener Zwischenstopp im Jahr 802701, bei dem der anonym bleibende Zeitreisende die Welt der Eloi und Morlocks kennen lernt. Diese Episode nimmt sowohl im Buch wie auch in den Verfilmungen jeweils den meisten Raum ein, wobei die eingeflochtene romantische Liebesgeschichte natürlich auch das anziehendste erzählerische Moment besitzt.

Nicht vergessen sollte man jedoch jene Passage des Buches, in denen der Reisende auf der Flucht vor den Morlocks immer weiter in die Zukunft des Planeten Erde gelangt. Dabei setzt Wells die Stopps in immer größeren Schritten – nicht mehr nach Jahrtausenden, sondern nach Jahrmillionen und -milliarden. H. G. Wells war als rational denkender Mensch ein früher und überzeugter Vertreter der Evolutionslehre Charles Darwins, weshalb er sich jeder Sentimentalität enthält. Die entfernte Zukunft der Welt kennt keine Menschen mehr, es gibt schließlich auch keine Säugetiere mehr, keine hochentwickelten Lebewesen – riesigen Amöben gleich schleppen sich die letzten Zeugen einer einstmals blühenden Flora und Fauna unter einer stillstehenden, erkalteten Sonne ans Ufer eines langsam zufrierenden Meeres.

Es gehört zu den großartigen Leistungen dieses schmalen Buches, dass der Zeitreisende (und mit ihm der Leser) nach dem Miterleben dieses trostlosen Endes keinesfalls traurig oder entmutigt aufgibt, sondern – nachdem er erschöpft und ausgelaugt wieder im heimatlichen London angekommen ist – nur kurz innehält, seine Reserven mobilisiert und sich dann mit einem Beutel voller hilfreicher Gegenstände erneut aufmacht – wir haben keine Chance, aber wir nutzen sie!

 Herrmann Ibendorf

www.temporamores.de

 Für Datenhungrige:

  H. G. Wells

  Die Zeitmaschine. Roman.

  Ü: Annie Reney und Alexandra Auer

  (The Time Machine. An Invention. / 1895)

  München, Deutscher Taschenbuchverlag, 2008, 160 S.

  ISBN 978-3-423-19123-4 / 9,90  Euro

  Verfilmt unter dem Titel: THE TIME MACHINE 1960 & 2002