Internetzugang als Menschenrecht?

Nach dem Grundsatzurteil zur Gleichbehandlung alleinstehender Väter durch das Bundesverfassungsgericht kristallisiert sich aus dem überwiegend positiven Medienecho eine Erkenntnis heraus, die in den letzten Monaten immer stärker ins öffentliche Bewusstsein drängte: Die Legislative in Deutschland verliert immer mehr ihre Führungsrolle (oder ihren Realitätsbezug).

Das immer häufigere Einschreiten der Gerichte und das Verwerfen veralteter oder ungenügender Gesetze und Ausführungsbestimmungen führt hierzulande zu einiger Verunsicherung – bietet aber auch ganz neue Chancen für Menschen und Gruppierungen, die sich benachteiligt fühlen. Und so ist es vermutlich nur noch eine Frage der Zeit, bis man in Karlsruhe darüber zu entscheiden hat, ob der freie Zugang zum Internet nicht zu den „unveräußerlichen“ Grundrechten der Deutschen gehört.

Aufmerksam wurde ich auf dieses Thema durch eine Glosse von Constanze Kurz in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, in der sie „Das Recht auf Dabeisein“ thematisierte. Sie belegte, unter anderem durch Umfragedaten, wie sehr der unbehinderte Zugang zum Internet inzwischen als „normal“ angesehen wird: Über 80 Prozent aller EU-Bürger (also weit mehr, als überhaupt online sind) sprachen sich für ein „Grundrecht auf Internet“ aus. In einigen Staaten, mit Finnland als Vorreiter, gibt es bereits gesetzlich verankerte Regeln für dieses Recht – inklusive staatlicher Versprechen auf Mindestgeschwindigkeiten.

Auch in Deutschland sieht es auf den ersten Blick so aus, als ob sich etwas in dieser Richtung bewegt. So hat zuletzt Innenminister Thomas de Maiziére die staatliche Absicht erklärt, das „Internet flächendeckend zur Verfügung“ zu stellen. Völlig offen dagegen bleibt, wie sich angesichts der hiesigen (verzerrten) Wettbewerbssituation und der missglückten „Deregulierung“ ein solches Versprechen umsetzen lässt.

Erinnern wir uns kurz an das Jahr 1989: Nach der Wiedervereinigung erhielt der Staatsbetrieb Deutsche Bundespost den politischen Auftrag, die neuen Bundesländer in Sachen Telekommunikation auf Westdeutsches Niveau zu bringen. Eine sowohl logistische wie finanzielle Leistung, die „per Verordnung“ geschultert – und vollbracht – wurde.

In den folgenden Jahren wuchs dann der Druck, den „Monopolisten“ Deutsche Bundespost zu zerschlagen – mit den bekannten Folgen: Man gründete die Deutsche Telekom, setzte die Bundesnetzagentur ein und „verordnete“ einen offenen Telekommunikationsmarkt. Die Preise allerdings legt die Bundesnetzagentur fest – was nicht nur für die Deutsche Telekom, sondern auch für ihre Konkurrenten zu Unwägbarkeiten in der Berechnung ihrer Kosten (und Gewinne!) führt.

Ein Unternehmen, dass nicht in der Lage ist, für seine Investitionen auch in absehbarer Zeit Gewinne zu erwirtschaften, wird deutlich weniger Kapital in risikoreiche, oder wenig Rendite versprechende Techniken investieren. Wer also soll die „flächendeckende“ Versorgung außerhalb der Ballungsräume übernehmen?

Diese hausgemachten Merkwürdigkeiten führen inzwischen zu immer bizarreren Auswüchsen. Während in deutschen Großstädten die Kunden/Nutzer inzwischen von mehreren Anbietern Breitbandanschlüsse bis zu 50 Megabit/Sekunde (Kupfer), bzw. 30 MBit/s (Kabel-TV), oder als Geschäftskunde über Glasfaser sogar noch mehr, angeboten bekommen, muss sich das „Landvolk“ nur wenige Kilometer außerhalb mit „DSL-Light“ (unter 1 MBit/s), Sky-DSL (1 MBit/s) bzw. in einigen Gegenden sogar noch mit „analogem“ Modem-Zugang begnügen.

Auf die stetig wiederkehrenden Anfragen der Betroffenen, erhalten diese, ebenso wie die kommunalen Verwaltungen, die stets gleichen Rückmeldungen: Wenn die notwendigen Investitionen von den Anfragenden übernommen würden, dann könnte man diese Situation sehr wohl schnell ändern. Dies steht in krassem Gegensatz zum (derzeit nur vermeintlichen) Recht auf Gleichbehandlung in Sachen Internet.

Auch in Deutschland muss endlich mehr passieren, als nur das Verkünden von Absichtserklärungen. Eine nicht-zeitgemäße Internetanbindung stellt inzwischen einen nicht zu vernachlässigenden Wettbewerbsnachteil dar. Eine zu langsame Internetverbindung behindert Lehrer, Schüler und Studenten in ihrer Arbeit, bei ihren Hausaufgaben oder beim Studium.

Wie sieht die Zukunft aus?

Inzwischen steht fest, dass die Telekommunikations-Infrastruktur weltweit auf IP (Internet Protokoll) umgestellt wird. Ein flächendeckender Glasfaserkabel-Ausbau wird, auch nach den Zukunftsplanungen der großen Netzanbieter, unumgänglich werden. Wer diesen Trend „verschläft“, bleibt in der Kommunikations-Steinzeit hängen – und „stirbt aus“ (wer im Netz nicht präsent ist, wird in wenigen Jahren für die weltweite „Web-Community“ praktisch nicht mehr existent sein). Funklösungen sind nach wie vor zu störungsanfällig und können deshalb immer nur kurzfristige Überganglösungen sein.

Es bleibt den politisch Verantwortlichen eigentlich nur eine Möglichkeit: Aus den Absichtserklärungen muss endlich eine verbindliche Richtlinie für alle Netzanbieter werden, in der die Verantwortlichen für diese Infrastrukturlösung benannt, Summen festgeschrieben und Gewinne ermöglicht werden.

Andernfalls wird es wohl das Bundesverfassungsgericht zu entscheiden haben: Das Grundrecht der Deutschen auf Teilhabe am Internet!

Herrmann Ibendorf

www.temporamores.de