Letztens im Internet

Vor einiger Zeit las ich einen Kommentar zum Qualitätsverlust wissenschaftlichen oder investigativen Schreibens. Der Verfasser meinte, die heutigen Autoren würden zu wenig recherchieren und zu wenig Basiswissen mitbringen. So würde die Qualität des Geschriebenen stetig schlechter und immer wieder Gesagtes ständig wiederholt. Gerade das Web 2.0 fülle sich so mit Belanglosem. Unsere intellektuelle Welt mangele es so an Tiefe, Fortschritt sei kaum erkennbar.

Mein erster Reflex als Historiker und fleißiger Leser war ungeteilte Zustimmung.

Später jedoch (beim Autofahren – da denke ich merkwürdigerweise oft am besten) habe ich diese Position hinterfragt und bin zu einer völlig anderen Schluss gekommen.

Zunächst hat sich seit der Zeit meines Studiums, als wir für unser Arbeiten auf die Qualität unserer großen, aber überschaubaren Bibliothek (und der Fernleihe) angewiesen waren, eine Revolution ereignet. In wenigen Jahren ist der Zugang zu Informationen und die reine Menge an Wissen dermaßen explodiert, dass es dem Einzelnen nicht mehr möglich ist, lesend auch nur im Entferntesten Schritt zu halten. Zwar hilft uns Google in herausragender Weise, wichtige Informationen zu finden, gleichzeitig verhindert es aber auch effektiv das Auffinden von marginalen Texten und Fakten. Damit verbessert Google die Bildung der gesamten Erdbevölkerung zwar signifikant, höhlt aber auch gleichzeitig das wissenschaftliche Arbeiten an der Spitze aus. Das fordert eine Wertediskussion heraus.

Wollte man also nur noch Autoren zulassen, die für das Verfassen ihrer Texte eine qualifizierte Recherche und Lektüre unternommen haben, fänden wir uns im Internet schnell vereinsamt. Mir erscheint hier das Bild einer Geisterstadt durch die das Tumbleweed der amerikanischen Western weht.

Offensichtlich ändern sich aber auch die Formate des wissenschaftlichen Arbeitens. Viele Themen kann man auch in leserfreundlichen zehn bis 15 Seiten erschöpfend abhandeln. Dies war früher nicht (Ausnahme die wissenschaftlichen Zeitschriften) möglich, da die obligatorische Buchform wenigstens hundert Seiten verlangte. Und ohne Buch damals weder Verkauf noch öffentliche Wahrnehmung. So mussten wissenschaftliche Arbeiten gebläht werden und verloren so deutlich an Schärfe. Das Internet bietet hier eben gerade neue, kürzere Formate und beflügelt so das inhaltsträchtige Schreiben.

Die reine Menge der Informationen des heutigen Internets verringert die öffentliche Wahrnehmung von Geschriebenen bis zum Verschwinden. Autoren haben dies längst bemerkt und suchen nach Auswegen. Abseits von Wegen des Marketing und der Social Media bleibt den Autoren nur, ihre Qualität zu verbessern. Im Internet hat bereits heute die intensive Suche nach qualitativ hochwertigem Content begonnen. Dieser wird nach und nach von selbst gefunden. Dieser „Marktdruck“ der Informationen wird die wissenschaftliche Qualität automatisch steigern. Schlechter Content oder wiederholter Content werden in den Wogen des Internet versinken.