Ein überaus erfreulicher Zufall wollte es, dass ich am 1. Gratis Comic Tag 2010 nicht nur mit den sowieso kostenlos ausliegenden Comic-Heften nach Hause kam, sondern mir von einem lieben Freund noch die englischsprachige Graphic Novel „Cairo“ (Vertigo) von G. Willow Wilson und M. K. Perker geschenkt wurde. Mit der eindringlichen Empfehlung, dieses Buch unbedingt zu lesen, verabschiedet, stürzte ich mich am darauffolgenden Sonntag also ins „Vergnügen“.
Und „Cairo“ zu lesen war wirklich ein Vergnügen!
Inmitten der ägyptischen Millionenmetropole Kairo kreuzen sich die Wege (und Schicksale) von fünf Menschen wie sie unterschiedlicher kaum sein könnten: eine amerikanische Studentin, die naiv und blauäugig losgezogen ist, um „irgendwie zu helfen“; ein junger Libanese aus New York, der darüber nachdenkt, wie er eine Bombe nach Israel schmuggeln kann; ein ägyptischer Intellektueller und Journalist, der die Feder für mächtiger hält als das Schwert; eine israelische Special-Forces-Kämpferin, die im Grenzgebiet zu Ägypten verwundet und von vorbeiziehenden Beduinen mitgenommen und gesund gepflegt wird; und ein Kairoer Drogenhändler, der seinem Konkurrenten eine scheinbar wertlose Wasserpfeife geklaut hat.
Schon allein diese Grundkonstellation sorgt für ordentlich „Sprengstoff“ in den Beziehungen der Fünf. Als sich herausstellt, dass in der Wasserpfeife ein jahrtausendealter Dschinn wohnt, der noch dazu ganz eigene Pläne verfolgt, kommt noch jede Menge „action“ und Romantik ins Spiel. Jede der handelnden Personen sieht sich schließlich gezwungen, über den eigenen Schatten zu springen und liebgewonnene (oder anerzogene) Vorurteile auf den Prüfstand zu stellen. Aus den Umständen heraus werden Bündnisse und Koalitionen eingegangen, die alle noch kurz vorher für undenkbar gehalten hätten – und manche Einstellung ändert sich für immer.
Auf einzigartige Weise vermengen sich in diesem wunderschön illustrierten Buch liebevolle Charakterzeichnungen, politische Tagesthemen und märchenhafte Geschehnisse. Der „magische Realismus“ lateinamerikanischer Erzähler findet in „Cairo“ seine morgenländische Entsprechung.
Da es von diesem Buch leider noch keine deutsche Übersetzung gibt, muss auf eine der amerikanischen Ausgaben verwiesen werden. Wilsons Stil ist allerdings gut lesbar – und wie bei einer Graphic Novel üblich, erschließt sich das Werk zudem sehr leicht über die Bilder.
Die Autorin G. Willow Wilson ist eine US-stämmige Journalistin, die zum Islam konvertierte und viele Jahre in Kairo für verschiedene Oppositionszeitungen schrieb. Inzwischen pendelt sie zwischen Ägypten und den USA und schreibt für renommierte US-Magazine wie Atlantic Monthly und The New York Times Magazine. Als lebenslangem Comic-Fan war es ihr eine Herzensangelegenheit, sich an einer Graphic Novel zu versuchen. In ihrem Erstling „Cairo“ verwebt sie gekonnt Autobiografisches mit aktuellem Zeitgeschehen und der Märchenwelt von „1001 Nacht“.
Der Zeichner M. K. Perker wurde 1972 in Istanbul geboren und ist seit seinem sechzehnten Lebensjahr als Szenarist und Comic-Illustrator tätig. Inzwischen gelang es ihm auch in den USA Fuß zu fassen und für fast alle Comic-Märkte dort zu arbeiten (MAD, Heavy Metal, The Wall Street Journal).
Herrmann Ibendorf
Für Datenhungrige:
G. Willow Wilson (Writer) & M. K. Perker (Artist)
CAIRO. a graphic novel.
New York, Vertigo/DC Comics, 2007, ca. 160 S.
ISBN 978-1-4012-1734-1