Sie haben viel mehr Leser verdient

Ja, das haben sie, die 125 Briefe, die Herausgeber Shaun Usher in dem großformatigen Prachtband LETTERS OF NOTE – BRIEFE, DIE DIE WELT BEDEUTEN zusammengetragen hat, was der englische Untertitel „Correspondence Deserving of a Wider Audience” auch etwas deutlicher vermittelt.

 

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In Zeiten, da selbst eine E-mail für einen Großteil der nachwachsenden Generation schon zu den überholten Kommunikationsformen gehört, in denen pseudo-stenographische Kürzel in Echtzeit über soziale Medien ausgetauscht werden und selbst der oder die Aufmerksamste nach gefühlten fünfzig Nachrichten in sechzig Sekunden nur noch summarisch Auskunft über die Tendenz des in den letzten Stunden Übermittelten geben kann –, in solchen Zeiten und unter solchen Umständen kann man ein Buch wie LETTERS OF NOTE gar nicht genug loben und lieben.

Dabei ist es noch nicht einmal so, dass Usher hier nur schöne, lange und handgeschriebene Liebesbriefe aneinanderreiht. Nein, es sind auch Telegramme, Postkarten, in Stein gemeißelte oder in Kokosnussschalen geritzte Kurznachrichten enthalten, maschinengeschriebene Typoskripte, vorgedruckte Ablehnungsbescheide und mit schneller Feder Hingeworfenes.

Kurz gesagt: Gezeigt wird die ganze, leider fast schon nur noch historische, Vielfalt, die jahrtausendelang dem Briefeschreiben eigen war.

Die Inhalte sind dabei ebenso sorgfältig ausgewählt wie die Absender und Adressaten, sodass ein bunter Reigen der interessantesten Menschen und Themen auf diesen 400 Seiten auftaucht. Die gelungene Präsentation in Form von auf den linken Seiten abgedruckten Umschriften der einzelnen Briefe (begleitet von kurzen editorischen Hinweisen), die von den Faksimiles der Originale oder von Bildern der Autoren gekontert werden, ist ebenso vorbildlich wie die äußere Gestaltung des Bandes (rotes Ganzleinen, Fadenheftung, Lesebändchen).

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Unter all den großen Namen (von Kurt Vonnegut bis Philip K. Dick, von Emily Dickinson bis Virginia Woolf, von Groucho Marx bis Woody Allen, von Mick Jagger bis Abraham Lincoln) findet wohl jeder Leser, jede Leserin seinen/ihren Liebling – doch sind es oftmals gerade die Schreiben völlig unbekannter Menschen, die den größeren Eindruck nach der Lektüre hinterlassen.

Wie zum Beispiel der Eil-Brief eines australischen Schuljungen, der 1957, kurz nach dem Start der sowjetischen SPUTNIK 1, den Raumfahrtingenieuren seines Heimatlandes die „Konstruktionszeichnung“ eines australischen Raumschiffes zusandte – wofür sich die Air Vehicles Division in Brisbane dann 2009 endlich bedankte.

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Wie zum Beispiel der anonyme Drohbrief an Martin Luther King, oder die niemals abgeschickten Bittbriefe einer Psychiatriepatientin, in denen sie ihren abwesenden Ehemann unaufhörlich anfleht „Komm, komm, komm …“.

Nochmals JA! – Sie haben tatsächlich ein größeres Publikum verdient, diese „bemerkenswerten Briefe“, die einen Einblick gewähren in das Leben – und oftmals auch das Sterben – bekannter und unbekannter Personen, die uns nach dem Lesen ihrer Niederschriften manchmal „näher“ zu stehen scheinen, als die meisten unserer unzähligen „digitalen“ Freunde – und die garantiert länger im Gedächtnis bleiben als jede elektronische Kurznachricht.

 Herrmann Ibendorf

www.temporamores.de

 

Bibliografisches:

Shaun Usher (Herausgeber)

Letters of Note – Briefe, die die Welt bedeuten.

Diverse Übersetzer

Illustriert mit vielen farbigen und schwarzweißen Abbildungen

(OT: Letters of Note. Correspondence Deserving of a Wider Audience / 2013)

München, Heyne, 2014, 408 Seiten

Großformat, Leinen mit Schutzumschlag und Bauchbinde, Fadenheftung, Lesebändchen.

ISBN 978-3-453-26955-2